PISA-Sonderauswertung: Migrantenkinder, die in Deutschland geboren wurden, zeigen gute Leistungen im internationalen Vergleich

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BERLIN. Die Mehrheit der Eingewanderten lernt schnell Deutsch. Doch noch im Ausland geborene Schüler sowie erwachsene Einwanderer mit geringer Bildung bleiben insgesamt zurück. Das zeigt eine neue Länderstudie der OECD, für die eigens PISA-Daten aufbereitet wurden. Die Ergebnisse ermöglichen einen genaueren Blick – und der offenbart eine Überraschung hinsichtlich der Leistungen von in Deutschland geborenen Kindern mit Migrationshintergrund. Eine positive.

Geht doch. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Die Integration von Einwanderern hat sich in Deutschland im internationalen Vergleich in vielerlei Hinsicht gut entwickelt – das zeigt ein Bericht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Laut der Länderstudie sprechen fast zwei Drittel der Eingewanderten, die seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben, fließend Deutsch.

Aufgeholt hat Deutschland überraschenderweise bei den schulischen Leistungen von in Deutschland geborenen Kindern eingewanderter Eltern. Sie sind den Angaben zufolge in den zurückliegenden 20 Jahren deutlich gestiegen. Aktuell seien sie besser als in den meisten anderen Hauptzielländern von Migranten. Dies zeigt eine Sonderauswertung von PISA-Daten für den Bericht. Verglichen wurde Deutschland dabei mit Australien, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Italien, Kanada, Neuseeland, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Schweden, der Schweiz, Spanien, Großbritannien und den Vereinigten Staaten.

„Unser Bildungssystem ist noch nicht auf die Einwanderungsgesellschaft ausgerichtet, die wir längst sind“

Wörtlich heißt es in der Studie: «Obwohl in Deutschland ein starker Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Hintergrund und dem Bildungserfolg besteht, erzielen im Inland geborene Kinder eingewanderter Eltern dort bessere Bildungsergebnisse als in den meisten vergleichbaren Ländern. Seit Anfang der 2000er Jahre haben sich ihre Schulleistungen deutlich verbessert. Zudem verzeichneten sie nach den langen bundesweiten Schulschließungen während der Coronapandemie nur einen leichten Leistungsrückgang.»

Doch der Bericht – der mit Förderung der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), entstanden ist – benennt auch Probleme. «Für Schüler*innen, die selbst nach Deutschland eingewandert sind, stellt sich die Situation allerdings ganz anders da. Ihre Bildungsergebnisse sind – unabhängig vom Alter bei der Einreise – ungünstiger als die vergleichbarer Schüler*innen in anderen Hauptzielländern. Außerdem hat sich der bereits bestehende Leistungsabstand gegenüber den im Inland geborenen Schüler*innen in den letzten Jahren weiter vergrößert, was eine Folge der Schulschließungen während der Coronapandemie sein könnte.»

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zählen das fehlende förderliche Lernumfeld zu Hause, die begrenzten Möglichkeiten des Home Office für ihre Eltern, um ihren Kindern zur Seite zu stehen, sowie bereits vorhandene Lerndefizite zu den Gründen, die es den betroffenen zugewanderten Kindern und Jugendlichen erschwerten, dem Lehrplan per Fernunterricht zu folgen. Sprachbarrieren und die geringere Vertrautheit mit dem Schulsystem seien weitere Faktoren, die diese Probleme möglicherweise noch weiter verschärft hätten.

Nur die Hälfte der Migranten, die höchstens eine Grundschulbildung haben, sei erwerbstätig, und nur ein Viertel von ihnen erreiche nach mindestens fünf Jahren Aufenthalt ein fortgeschrittenes Deutschniveau. Da diese Gruppe mehr als ein Sechstel der Einwanderungsbevölkerung ausmache und ihr Anteil in den letzten zehn Jahren gestiegen sei, müsse dieser Gruppe mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Unter den Hauptzielländern von Migranten haben demnach nur die Niederlande einen noch höheren Anteil von Einwanderern mit niedrigem Bildungsniveau.

Zudem sei der Anteil der Eingewanderten mit Hochschulabschluss mit knapp über einem Viertel weiter gering – auch, wenn dieser in den letzten zehn Jahren gestiegen ist. Er ist nach Angaben der Autoren der Studie niedriger als in allen anderen Hauptzielländern von Migranten, mit Ausnahme von Italien. Die Fluchtbewegung aus der Ukraine ist hier allerdings bislang nicht berücksichtigt. Ursache ist der relativ hohe Geflüchtetenanteil unter den Migrantinnen und Migranten in Deutschland. «Viele Geflüchtete hatten vor der Migration keinen oder nur begrenzten Zugang zu Bildung, weil ihre Herkunftsländer von langen Kriegen und Konflikten zerrüttet sind.»

Dazu komme: «Die große Bedeutung, die in Deutschland formellen Befähigungsnachweisen beigemessen wird, erschwert Eingewanderten mit ausländischen Qualifikationen den Zugang zu qualifizierten Tätigkeiten. In reglementierten Berufen sehen sich Migrant*innen, die ihre Qualifikationen im Ausland erworben haben, Einschränkungen bei der Berufsausübung gegenüber, wenn ihre Qualifikationen nicht anerkannt wurden.»

„Es braucht eine große, gemeinsamer Kraftanstrengung für Integration von Anfang an, schnelle Regelbeschulung und Teilhabe und Chancengleichheit für alle“

«Die Integration in Deutschland funktioniert viel besser als ihr Ruf», sagt aber die Integrationsbeauftragte Alabali-Radovan etwa mit Blick auf die Arbeitsmarktintegration von Eingewanderten. Bei der Erwerbstätigenquote erreiche Deutschland einen Wert von 70 Prozent. Das ist mehr als in den meisten anderen EU-Vergleichsländern und der höchste bisher in Deutschland erreichte Wert.

Weiter betont sie: «Ebenso schneiden in Deutschland geborene Kinder von Eingewanderten viel besser in der Schule ab als noch vor einigen Jahren, wir liegen hier über dem OECD-Schnitt. Trotzdem bleibt viel zu tun, vor allem bei der schulischen und beruflichen Bildung der ersten Generation der Eingewanderten. Der Bericht legt den Finger in die Wunde: Unser Bildungssystem ist noch nicht auf die Einwanderungsgesellschaft ausgerichtet, die wir längst sind. Es braucht eine große, gemeinsamer Kraftanstrengung für Integration von Anfang an, schnelle Regelbeschulung und Teilhabe und Chancengleichheit für alle.»

Der Bericht könne mehr Sachlichkeit in das emotional aufgeladene Thema Integration bringen. «Die Ergebnisse sind Bestärkung für eine mutige, konstruktive Integrationspolitik für unser Land.» News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zu dem vollständigen Bericht.

Gräfenauschule: Wo praktisch jedes Schulkind kaum Deutsch spricht – aber die Mittel für besondere Sprachförderung fehlen

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Nick
2 Tage zuvor

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/185987/umfrage/steuer-und-sozialabgaben-nach-laendern/

Deutschland steht an der Spitze bei der Leistung von Steuer- und Sozialabgaben. Damit dürften genügend Mittel bereitstehen. Die Frage ist, wo die Ausgabenpriorität liegt. Also, ich zahle meine Steuern (und damit an die Allgemeinheit). Für die Gelder, die mir dann Netto zur Verfügung stehen unterstütze ich MEINE Kinder.

RainerZufall
2 Tage zuvor
Antwortet  Nick

Aber so ein Dienstwagen will sich ja auch previlegieren lassen 😛

Nick
2 Tage zuvor
Antwortet  RainerZufall

Ich nicht, komme aus der freien Wirtschaft.

Unfassbar
2 Tage zuvor

Es ist doch ein gutes Zeichen für das deutsche Schulsystem, wenn ausländische Kinder an den deutschen Schulen besser abschneiden als im jeweiligen Heimatland.

Welche Herkunftsländer sind eigentlich die Ausnahme von der Beobachtung?

Lisa
2 Tage zuvor
Antwortet  Unfassbar

Nicht im Heimatland, in anderen Zielländern.

Katze
2 Tage zuvor

Unser Bildungssystem ist auch nicht mehr auf die Wissensgesellschaft ausgerichtet, die wir einmal waren. Wen interessiert das?
Teilhabe und Chancengleichheit für alle auf Minimalisten- Niveau. Läuft doch im Land der Schöndichter und Bildungsversenker.

potschemutschka
1 Tag zuvor
Antwortet  Katze

Ihr letzter Satz kommt in meine Zitatensammlung! 🙂

AvL
1 Tag zuvor
Antwortet  potschemutschka

Zitat: «Obwohl in Deutschland ein starker Zusammenhang
zwischen dem sozioökonomischen Hintergrund und
dem Bildungserfolg besteht, erzielen im Inland geborene
Kinder eingewanderter Eltern dort bessere Bildungsergebnisse
als in den meisten vergleichbaren Ländern
( Alle anderen europäischen Staaten als Migrationsziel).
Seit Anfang der 2000er Jahre haben sich ihre Schulleistungen
deutlich verbessert. Zudem verzeichneten sie nach den
langen bundesweiten Schulschließungen während der
Corona-Pandemie nur einen leichten Leistungsrückgang.»

Daraus folgt aber auch, dass unser deutsches Bildungssystem
besser als vergleichbare europäische Länder in Bezug auf die
Bildungsabschlüsse von Kindern mit einem Migrationshintergrund ist.

Lisa
2 Tage zuvor

Die Statistik umfasst allerdings alle Migranten und Immigranten, auch beispielsweise Österreicher. Und dann gibt es Länder, in denen traditionell Deutsch an Schulen gelehrt wird. Die Ungarn, die ich kenne, sprechen oft hervorragend Deutsch. Die Herkunftsländer der Flüchtlinge zählen nicht dazu, so dass es für diese Gruppe schwierig ist, an die entsprechende Bildung zu gelangen. Das “ Sprachbad“ funktioniert nur, wenn die Mehrheit auch gutes Deutsch spricht. Einwanderer, die keiner Schulpflicht mehr unterliegen, kommen schwer an die entsprechenden Kurse.
Menschen mit Hochschulabschluss zieht es eher in die klassischen Einwandererländer, schon weil da andere Einwanderer mit ähnlichen Karrieren sind, und weil sie meist gut Englisch sprechen. Das habe ich selbst bei vielen Iranern miterlebt, deren Asyl hier anerkannt wurde. Sie wollten dennoch nicht bleiben.

Micky
1 Tag zuvor
Antwortet  Lisa

Tatsächlich planen privilegierte, gebildete Familien aus dem mittleren Osten öfter eine Migration in Stufen. Erst sollen die Kinder das in ihren Augen recht gute, kostenlose und in der Welt anerkannte deutsche Bildungssystem durchlaufen, danach geht es in die USA oder nach Kanada. Mehrfach so gehört. Wer will es ihnen verdenken? Als junge erwachsene Migrantin hat man gleich mehrere gewichtige Gründe, Deutschland den Rücken zu kehren.

ed840
1 Tag zuvor
Antwortet  Micky

Das scheint aber nicht nur auf Migranten zuzutreffen, sondern allgemein auf junge, gut ausgebildete Menschen. Unter den im Schnitt ca. 180.000 Deutschen Auswanderern pro Jahr sind laut GERPS ja überproportional viele Akademiker und Fachkräfte.

Marc
1 Tag zuvor
Antwortet  ed840

Dass wir für echte Fachkräfte nicht attraktiv sind hat 3 einfache Gründe:

– Schwere Sprache.
– Hohe Steuern und massive Umverteilung.
– Den Ruf ein Land zu sein, dass mehr auf Soziales als auf Leistung schaut. Hier wird viel geneidet statt anerkannt und von Reiche werden fies und kritisch beäugt.

Lisa
1 Tag zuvor
Antwortet  ed840

Migranten haben schon einmal die Erfahrung hinter sich, zu migrieren, also flexibel zu sein. Das zweite Mal fällt dann gerade den Jüngeren, die sich als Weltbürger begreifen, leichter.

RainerZufall
2 Tage zuvor

Endlich mal eine gute Nachricht 😀
Aber ein richtiges DaF-Konzept könnten wir seit ein paar Jahrzehnten gut vertragen.

In meinem Bundesland bekommen bspw. Flüchtlinge zwei Jahre Sprachförderklasse, danach geht es nach dem Alter in die Klassen (bspw. mit 3 Schulbesuchsjahren in Klasse 6)

Palim
8 Stunden zuvor
Antwortet  RainerZufall

Deutsch als Fremdsprache lernt man außerhalb des deutschsprachigen Raumes, andernfalls ist es Deutsch als Zweitsprache, auch wenn Deutsch die dritte oder fünfte erlernte Sprache ist.

Was stellen Sie sich denn unter einem DaZ-Konzept vor?

Lanayah
2 Tage zuvor

Schade, da gibt es mal ein gutes Ergebnis bezüglich unseres Bildungssystems. Und statt das einfach mal erfreulich zu finden, wird das Ergebnis als „überraschend“ bezeichnet und dann folgen lauter Negativaussagen bezüglich dessen, was noch nicht geschafft wird.

ed840
1 Tag zuvor
Antwortet  Lanayah

Was meinen Sie mit „unser“ Bildungssystem? Soweit ich weiß, gibt es in DE 16 Bundesländer mit jeweils eigenen Bildungssystemen, Schularten, Fächern, Lehrplänen usw. . Und zwischen diesen 16 Bundesländern gibt es auch bei den PISA-Punktzahlen der Kinder mit Migrationshintergrund ganz erhebliche Unterschiede.

A.J. Wiedenhammer
1 Tag zuvor

Und was bedeutet das nun? Vielleicht gar, dass Deutschland -entgegen der vielfach (und auch hier) geäußerten Meinung – relativ viel für die Bildung und Teilhabe von Migrantenkindern tut?

Wie blöd, war doch immer so ein schönes Totschlagsargument, wenn darüber diskutiert wurde, warum Kinder aus bestimmten Kulturkreisen im deutschen Schulsystem permanent schlechter als der Durchschnitt abschlossen. Nicht, dass da noch mehr Faktoren hineinspielen…