Nachmachen erwünscht: Modellprojekt kämpft gegen den Lehrermangel – mit Erfolg

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DRESDEN. Dieses Modellprojekt schlägt gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe: Es hilft gegen Lehrermangel und Unterrichtsausfall, es verschafft angehenden Lehrerinnen und Lehrern mehr praktische Erfahrungen und es etabliert Konzepte für modernes Lernen. Bisher unterstützt das Projekt, das von der TU Dresden entwickelt wurde, vor allem stark vom Lehrermangel betroffene Schulen in Ostsachsen. Doch auch andere Bundesländer könnten von dem innovativen Ansatz profitieren.

Glüchkliches Kind im Unterricht; Stichworte: Förderung, Lehrermangel, innovatives Lernen. Foto: shutterstock
Durch dieses Pilotprojekt fallen nicht nur weniger Stunden aus – die Schülerinnen und Schüler lernen außerdem, selbstständig und in kooperativen Projekten zu arbeiten. Foto: shutterstock

Im ersten Schulhalbjahr sind in Sachsen schon rund eine Million Schulstunden wegen Lehrermangels ausgefallen, berichtet der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR). Betroffen seien zum großen Teil ländliche Regionen. Deswegen konzentriert sich das Pilotprojekt der Technischen Universität (TU) Dresden zunächst auf Schulen in der Oberlausitz. Kern des Projekts ist es, dass Lehramtsstudierende einmal wöchentlich Kinder in Ausfallstunden betreuen. Was sich erst einmal nach wenig anhört, könnte die Schule jedoch langfristig revolutionieren.

Denn in dem Projekt gehe es nicht nur darum, fehlende Lehrkräfte zu ersetzen und regulären Unterricht zu halten, heißt es auf der Webseite der TU Dresden. „Vielmehr sollen die Studierenden zusätzliche Angebote für kleinere Lerngruppen ermöglichen, die die Schüler:innen fördern und beim Lernen unterstützen.“ Es geht also um innovative Lernsettings. Dazu gehört auch Projektarbeit oder die selbstständige Arbeit in sogenannten Lernbüros – Lernformate also, in denen Kinder und Jugendliche kooperativ zusammenarbeiten und letztlich selbstständig lernen.

Projekt entspricht dem Wunsch der Studierenden nach mehr Praxis

Initiiert wurde das Projekt von Anke Langner, Professorin für Erziehungswissenschaft an der TU Dresden und wissenschaftliche Leiterin des Projekts der Universitätsschule Dresden. Die Bilanz der ersten Pilotphase sei sehr positiv, berichtet Langner. 14 Lehramtsstudierende waren im Mai und Juni sechs Wochen lang als studentische Hilfskräfte an zwei Lausitzer Oberschulen im Einsatz. In diesem semesterbegleitenden Praktikum halfen sie Kindern in Zittau und Görlitz „lernen zu lernen“, beschreibt es die Projektleiterin gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa). Die Schulen und Kommunen sorgten für die Unterbringung und übernehmen Fahrtkosten.

Spätestens nach den Herbstferien soll das Projekt fortgesetzt werden und ab dem kommenden Schuljahr finanziell auch von der TU Dresden und dem Kultusministerium unterstützt werden. Dann sollen über 60 studentische Lernbegleiter an mindestens fünf Schulen jeweils freitags in kleinen Gruppen gemeinsam Erfahrungen im künftigen Beruf sammeln, sagt Langner. Momentan laufe die Anwerbung, zudem machten zehn Studierende aus der ersten Pilotphase weiter. Insgesamt kommt das Projekt dem Wunsch der Studierenden nach mehr Praxis schon früher im Studium entgegen. Unterstützt werden die Studierenden von den Lehrkräften vor Ort, aber auch von Lehrenden an der TU Dresden sowie von erfahrenen Mitstudierenden in der sogenannten kollegialen Fallberatung.

Vorbild: Die Universitätsschule Dresden

Lernbegleiter, so werden die Studierenden innerhalb des Modellprojekts bezeichnet. Dieser Begriff wurde unter anderem aus der Universitätsschule Dresden übernommen, wo alle Lehrerinnen und Lehrer so genannt werden. An der Universitätsschule werden seit 2019 neue Formen des Lehrens und Lernens erprobt – und wissenschaftlich begleitet. Kinder und Jugendliche arbeiten dort in altersübergreifenden Gruppen zusammen und werden bei ihren selbstständigen Lernprozessen von Lernbegleitern unterstützt. Wichtige Erkenntnisse aus dem Schulversuch fließen nun auch in das Pilotprojekt in der Lausitz ein.

Darüber hinaus unterstützt die Universitätsschule Dresden im Projekt „Schule bewegt Sachsen“ schon seit Ende vergangenen Jahres Schulentwicklungsprozesse an Schulen in Ostsachsen. „Die Grundidee des Schulversuchs ist, Elemente für ein modernes und innovatives Lernen zu entwickeln, die auch in andere Schulen genutzt werden können. Es gibt unterschiedliche Formate, die in den letzten vier Jahren in der Universitätsschule Dresden entwickelt wurden, die wir jetzt den Schulen anbieten können, um in den Transfer zu gehen, das heißt sie in ihren Schulen anzuwenden und möglicherweise auch weiterzuentwickeln. Dabei geht es auch um Formate, die Lehrkräfte entlasten können“, erklärt Langner. News4teachers mit Material der dpa

„Pioniere für folgende Schülergenerationen“: Erste Absolventen an Deutschlands spannendstem Schulversuch

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14 Kommentare
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Gudrun
2 Tage zuvor

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass SuS idR sehr konkrete Lernanliegen haben, zB irgendeinen mathematischen Inhalt. Den Sinn vom grundsätzlichen Lernen auf der Metaebene wie beispielsweise „Lernen lernen“ sehen diese SuS eher nicht. Sie wollen ein konkretes Problem lösen und sich nicht darauf vorbereiten in einer vielleicht fernen Zukunft Probleme zu lösen, die dann von Lehrkräften an sie herangetragen werden.

Lisa
1 Tag zuvor
Antwortet  Gudrun

Diese Kurse a la “ Lernen lernen“ werden tatsächlich an Nachhilfeinstituten gebucht und sind gut besucht. Dann aber von Eltern ab Mittelschicht, die auch zur vorherigen Informatioveranstaltung gehen. Ich weiß das, weil ich selbst schon solch einen Kurs gegeben habe.

Universitätsschule Dresden | TU Dresden
1 Tag zuvor
Antwortet  Gudrun

Tatsächlich geht es genau darum: Konkrete Probelem lösen und unterstützt von den Studierenden Problemlösungsstrategien einüben. Denn natürlich kann man lernen nur am konkreten Gegenstand und Fragen, die für den einzelnen Schüler relevant sind.
Das entlastet auch die angehenden Lehrkräfte, denn sie müssen in den gemeinsamen Stunden keine konkreten Fachinhalte gezielt vermitteln, sondern gemeinsam mit den Kindern ihre eigenen Fragen bearbeiten.
Alle Informationen über das Projekt gibt es auf der Webseite https://tu-dresden.de/gsw/ew/iew/ewib/studium/theorie-praxis-verzahnung

Ich_bin_neu_hier
1 Tag zuvor

An diesem Projekt gefällt mir, dass man Studierende nicht als billigen Lehrkräfte-Ersatz verheizt, sondern ihnen Praxiserfahrungen in einem geeigneten Setting ermöglicht – vier Studierende pro Klasse bedeutet, man ist nie allein, es artet nie in die übliche (und später unvermeidliche) Massenabfertigung aus, und gleichzeitig ist das Ganze sehr wohl didaktisch und pädagogisch anspruchsvoll genug, dass die Lehramtsstudierenden viel dazu lernen.

Abzuwarten bleibt, inwieweit dieses Leuchtturmprojekt skalierbar ist: Lässt es sich finanzieren? Lässt es sich auch in der Fläche so umsetzen, so betreuen, dass am Ende nicht doch bloß Vertretungsunterricht/Betreuung durch Lückenbüßer herauskommt?

Universitätsschule Dresden | TU Dresden
1 Tag zuvor
Antwortet  Ich_bin_neu_hier

Genauso beschreiben es die Studierenden, die im Mai und Juni an der ersten Pilotphase teilgenommen haben: Sie können entspannt die große Verantwortung des Lehrberufs hineinwachsen und haben sowohl in den 4er-„Klassenteams“ gemeinsam mit den Mentor:innen vor Ort als auch an der Hochschule in den begleitenden Veranstaltungen die Möglichkeit, ihre Erfahrungen zu reflektieren. So gelingt außerdem die Theorie-Praxis-Verzahnung besser mit einem semesterbegleitenden Praktikum. Eine Studentin hat es so formuliert: „Man kann die theoretischen Ansätze aus der Vorlesung ausprobieren und zusammen diskutieren. Das ist auch für die Prüfungen später nicht schlecht.“
Mit einer langsamen Skalierung zunächst in einer zweiten Pilotphase werden nun die Rahmenbedingungen für die weitere Skalierung eruiert. Wichtig ist natürlich: Auch diese Lösung ist natürlich nicht kostenfrei zu haben. Sowohl die Vergütung der Studierenden als auch ihre Koordination und die Begleitveranstaltungen müssen natürlich finanziell abgesichert werden – und das nicht nur für das kommende Schuljahr.
Mit Blick auf die Folgen des aktuellen und zukünftigen Lehrkräftemangels – also die strukturelle Benachteiligung der Kinder und Jugendlichen in der Region Ostsachsen – kann man sagen, dass jede Stunde mit Studierenden besser ist als Ausfall. Schon deshalb ist es wichtig, auch deren Bedürfnisse nicht aus dem Blick zu verlieren. Denn sie sollen keine Lückenbüßer sein.

Palim
1 Tag zuvor

Betreute Praktika in Kleingruppen mit dazugehörigem Seminar und ersten Unterrichtsversuchen (im klassischen Sinn) gab es zuvor schon an anderen Unis,
das Modell wurde aus Kostengründen zusammengestrichen, man war nicht bereit, den Mentor:innen weiterhin Entlastung zu gewähren.
Ähnlich sparsam geht man ja auch bei Mentor:innen bei anderen Praktika oder im Ref um, ebenso könnte man den neu einsteigenden Lehrkräften Entlastung für Einarbeitung gewähren oder eine wählbare Team-Lehrkraft, man könnte Hospitationen über die Zuweisung von Lehrkräftestunden ermöglichen, da wäre vieles möglich und hilfreich.

Was bleibt am Ende vom Modell, wenn das Land die flächendeckende Umsetzung nicht finanzieren wird?

Studierende, die ab Bachelor auf Vertretungsstellen gehen, gibt es in etlichen Bundesländern, dann aber als Stelle mit entsprechender Bezahlung.
Gerne darf man auch Klassenassistenzen ausbilden und finanzieren, sodass alle Schulen diese einstellen und halten können,
ein pädagogisches Jahr in allen Bundesländern an allen Schulen ermöglichen oder Lernbüros bzw. Nachhilfe an die Schulen bringen, die die Schüler:innen außerunterrichtlich aufsuchen könnten.

Davon abgesehen sollte jedes Land eine weit mehr als 100%ige Unterrichtsversorgung aufbauen, um den Ausfall von Lehrkräften auffangen zu können.

Michael Felten
1 Tag zuvor

Mehr Praxis und Mithilfe für Lehramtsstudierende, sicher eine gute Idee.

Die Reduzierung der Lehrerrolle auf „Lernbegleitung“ hingegen ist nichts Innovatives, sondern wohlklingende Irreführung.

Schüler brauchen nicht nur Begleiter, sondern auch Bastler (von lernwirksamen Unterrichtssequenzen), Brückenbauer (aus ihrem bisherigen Niveau hinaus) und Bändiger (bei Unlust und

Dass „Lernen lernen“ ebenfalls nichts Neues, sondern letztlich Zeitverschwendung ist (Elsbeth Stern), könnte sich allmählich auch bis nach Sachsen herumgesprochen haben. Gelernt wird an konkreten Fachinhalten mit spezifischen Fachmethoden. Dem modischen Selbstlerngerede haben zuletzt Oelkers et al. die Luft rausgelassen: „Interdisziplinäre Kritik eines suggestiven Konzepts“.

https://www.beltz.de/fileadmin/beltz/leseproben/978-3-7799-6410-0.pdf

Katze
1 Tag zuvor
Antwortet  Michael Felten

Volle Zustimmung!
Das zeitgeistkonforme Selbstlerngerede nervt uns Brückenbauer und Bändiger sehr.

Lehrer_Sachsen
1 Tag zuvor

Einmal in der Woche Ausfallstunden (sinnvoll) betreuen – aha.
Irgendwo weinen bei dem Artikel Oberschul – Stundenplaner leise ins Kopfkissen.
Die meisten Ausfallstunden sind mittlerweile „geplant“ – also nur drei Stunden Deutsch statt vier, meist fehlen an den ländlichen OS 4- 5 Kollegen ( also mehr als 100 Stunden Unterricht).
Die Idee für mehr Praxis in der Ausbildung von grundständig ausgebildeten Referendaren ist gut und lange überfällig. Aber nicht mal der Tropfen auf den berühmten heißen Stein!2

Universitätsschule Dresden | TU Dresden
1 Tag zuvor
Antwortet  Lehrer_Sachsen

Das Projekt zur besseren Theorie-Praxis-Verzahnung ist eine Idee von vielen, die gegen die Folgen des Lehrkräftemangels helfen kann. Die Kolleg:innen an den beteiligten Schulen in Zittau und Weißwasser haben sich über die Unterstützung gefreut und 20 interessierte Schulen stehen für das kommende Schuljahr in den Startlöchern. Wenn an einem Tag die Kinder und Jugendlichen mit Studierenden an den individuell aktuellen Themen arbeiten können und Strategien fürs selbstständige Lernen einüben können, ist das ein großer Schritt hin zur Entlastung der Lehrkräfte.
Mittelfristig kann ein solches Hineinwachsen in die Praxis für die Studierenden bedeuten, dass weniger nach dem ersten Praktikum an ihrem Berufswunsch zweifeln. Und dies führt im besten Fall zu weniger Studienabbrüchen. An den Praktikumsschulen im ländlichen Raum kann über ein ganzes Semester oder sogar Studienjahr eine Bindung zu den Kolleginnen und Schülern entstehen, die eine spätere Tätigkeit an einer Schule in der Region vorstellbarer macht.
Wenn es gelingt, dass Projekt weiterzuführen und die Studierenden zu begeistern, kann man hoffentlich sagen: Steter Tropfen höhlt den Stein 😉

Katze
1 Tag zuvor

Oh,Oh,Oh ein Lernbüro macht Schüler und auch Eltern froh.
Lernen lernen immer weiter,
motiviert durch studentische Lernbegleiter.
Fachlich weiter abgespeckt,
Anspruch-wo bist du versteckt?

Maggie
1 Tag zuvor

Ein Schelm der an ein duales Studium denkt, bei dem die Studenten fairer bezahlt werden. Aber dann kostet es das Land ja was.

Mika
1 Tag zuvor

Frage an die Universitätsschule Dresden: sind die normalerweise unterrichtenden Lehrkräfte während der studentischen Arbeit mit in den Klassen oder in der Zeit anderweitig in der Schule eingesetzt ?

Universitätsschule Dresden | TU Dresden
8 Stunden zuvor
Antwortet  Mika

Es gibt keine „normalerweise unterrichtenden Lehrkräfte“, denn normalerweise wären die Kinder und Jugendlichen zu der Zeit zuhause, die Unterrichtszeit würde ausfallen. Die Studierenden waren in der ersten Pilotphase jeden Freitag für 6 Unterrichtsstunden an den Schulen. Davon haben sie 3 Stunden als Praktikumsleistung angerechnet und 3 Stunden wurden bezahlt.
Die Stundentafel wurde so geplant, dass die Lehrkräfte am Freitag Zeit für andere Aufgaben haben. So werden sie entlastet und die Schüler:innen werden nicht allein gelassen beim selbstständigen Lernen. Eine Win-Win-Situation für alle, die nun hoffentlich mit mehr Studierenden an mehr Schulen umgesetzt werden kann – im besten Fall mit der entsprechenden Finanzierung auch langfristig ins Lehramtsstudium integriert.
Die Studierenden werden in der zweiten Pilotphase von Altmentor:innen unterstützt, die sich mit den lokalen Gegebenheiten auskennen. Die „erste Generation“ aus dem neuen Praktikumsformat gibt ihre Erfahrungen ebenfalls an die neuen Schulpraktikant:innen weiter. Ein wichtiges Ziel ist auch zu zeigen, dass man als Lehrkraft kein Einzelkämpfer sein muss.